Donnerstag, 22. Februar 2007

the gap between our lives

Sonntagmorgen...
Die Schwestern, die mich im Krankenhaus behandeln kommen jeden Tag zu unserem Starbucks und holen Kaffee. Ich bediene sie freundlich, führe ein wenig Smalltalk und sie freuen sich, wenn ich ihr Lieblingsgetränk noch vom Vortag weiß.
Die Junkies um mich herum kommen jeden Tag zu Starbucks oder sitzen an jeder zweiten Straßenecke - wir sind ja in Downtown Vancouver. Ich ignoriere sie auf der Straße und schmeiße sie mit einem "you are not allowed in here" bei Starbucks raus.
Damit ist meine Rolle klar. Dachte ich.

Auf einmal liege ich mit weiten Pupillen mitten unter den Junkies.
Bediene Kleinstadtnazis in einer Kneipe im Osten Leipzigs.
Höre Bushido - "Von der Skyline zum Bordstein zurück".

Und als ich dank ritman diesen Sternartikel lese verirre ich mich gedanklich total.
Beim Lesen rege ich mich über die herablassende Weise des Autors auf, der über ein Milieu urteilt, dass er gar nicht kennt. Habe ich allerdings überhaupt das Recht, mich darüber aufzuregen? Ich kenne doch die sogenannte "Unterschicht" genau so wenig, in einem Riesenhaus mit eigenem Zimmer und großem Garten aufgewachsen. Andererseits schockt mich der Inhalt richtig, parallel zu dem Gedanken an Bekannte, deren Kinder "so enden" könnten.
...
Ich scheine vor drei Welten zu stehen:
Welt 1: Meine Welt. Manchmal lege ich eine Leiter ans Fenster und schleiche mich in der Nacht hinaus in Welt 2 oder 3.
Welt 2: Das ignorierte, existierende Elend in rein kapitalistischen Ländern, in der Welt. Junkies, Penner und Hungerleidende für die kaum einer einen Gedanken oder gar Mitgefühl übrig hat.
Welt 3: Die Vergessenen.
Die Vergessenen sind etwas ganz besonderes. Etwas besonders Deutsches.
Es gibt sie noch, aber man denkt nur ganz selten an sie. Eigentlich nur, wenn wieder etwas von ihnen erzählt wird. Etwas geschehen ist. Newsgeilheit. Auf einem ganz anderen Niveau, als dass woran Sie jetzt denken.
Die Vergessenen kommen uns in den Sinn, wenn wir von der Rütli - Schule sprechen. Wenn Stern und Spiegel ihnen alle halben Jahre eine Reportage widmen. Und vielleicht sogar, wenn die PISA - Studie veröffentlicht wird. Dann aber nur am Rand.
Die Vergessenen, das sind die, die auch ohne jegliche Orthographie SMS schreiben können,
die Raab immer lustiger als Schmidt finden und dank New Yorker auch mit 25 noch Camouflage-Hosen tragen. Kennen Sie sie? Haben Sie schon einmal einen gesehen? Na, scharf nachdenken. Da kommt es. Genau, neulich, in der Straßenbahn. Als ihr Auto gerade im TÜV war und Ihre Frau den Zweitwagen brauchte, um zu einer Besprechung nach Dresden zu fahren. Da haben Sie doch tatsächlich diesen Teenager gesehen, der viel zu enge Hosen und so´n komisches Tattoo auf dem Rücken, genau über dem Po hatte. Nein, und dann erst diese Unterhaltung mit seinem Kumpel. Irgendwie haben Sie das nicht richtig verstanden. Zum Verstehen war da immer ein "Alter" zu viel im Satz.
Aber an der nächsten Haltestelle mussten Sie eh aussteigen und haben die Unterhaltung ziemlich bald vergessen.

Eine Gesellschaft, deren sogenannte Bildungselite manchmal vergisst, was sechs Millionen Arbeitslose für den Menschen bedeutet ist krank.
Eine Gesellschaft, deren sogenannte Demokraten manchmal vergessen, dass Menschen auch ohne Thomas Mann glücklich sein können ist ignorant.

Ich verlasse das Krankenhaus mit einem lauten "NIE WIEDER".
Ich mache beim Stammtisch darauf aufmerksam, dass Schwarzarbeit immer noch illegal ist.
Und drehe zuhause Xavier und Curse auf. Wenn ich schon Kinder hätte.
Ja, ab und zu ist es gut, mal die Leiter hinab zu steigen. Ich weiß, wo meine steht und wohin sie geht. Und ich werde mein Fenster dahin hoffentlich nie schließen.
...
In Deutschland ist es schwer, ganz aus dem sozialen Netz heraus zu fallen. Dafür bin ich als Deutsche dankbar. Manche werden allerdings im Auffangnetz vergessen und bekommen keine Chance auf Stabilität/Anerkennung/Gleichstellung.
Und weil ich destruktive Kritik hasse: für mehr offene Augen, Toleranz, Denk- und Diskussionsbereitschaft - vor allem bei Sternautoren, die auf einmal erschreckt feststellen was es in ihrem Land alles gibt.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ich hasse es, ich hasse diese ohnmacht. diese ohnmacht, wenn man merkt, man ist nur ein kleiner feuchter furz im universum.

die leiter, ja diese leiter, da möchte ich hoch, ganz hoch. kann man diese leiter hoch kraxeln, ohne über leichen zu gehen? ohne die anderen leitern einfach abzutrennen?

argh.. 13:48 und ich bin schon in abend-depri stimmung..

ich hasse zeit.

Anonym hat gesagt…

^^ von ritman.

Sonnenanne hat gesagt…

das hochgehen geht nicht ohne leichen. vor allem stirbt dabei das eigene herz um große stücke, leider merken wir das meist erst zu spät. und sorry fürs runterziehen, aber es gibt auch gute dinge im leben :)

Anonym hat gesagt…

gute dinge im leben. glaub mir ich kann jeder guten sache auch was negatives abgewinnen..

meist erscheinen gute sachen, nur oberflächlich, gut.